Wer braucht Regeln?

Die verflixte Sache mit den Regeln: wir lieben und wir hassen sie.

Nach gefühlten 100 Online-Meetings, -Events und -Webinaren erlaube ich mir eine klare Haltung: Wir brauchen Regeln. Online-Treffen mit einer „Etikette“ laufen einfach runder, effizienter und lebendiger.

Aber die Sache mit den Regeln ist paradox. Auf der einen Seite haben sie einen bitteren – weil bevormundenden – Beigeschmack. Wer lässt sich schon gerne sagen, wie er sich zu verhalten hat? Gleichzeitig aber wünschen wir uns – gerade im virtuellen Raum – eine gemeinsame Richtlinie, die dann bitte auch für alle gilt.

Kein leichter Job für diejenigen, die solche Online-Settings moderieren. Ich möchte heute ein paar Gedanken dazu teilen:

Regeln werden durch Verhalten gemacht

Auch wenn wir keine Regeln vereinbaren, sie etablieren sich automatisch durch „Tun“ und „Duldung“. Wenn es in einer Gruppe Personen gibt, die immer wieder mal anderen ins Wort fallen, dann ist das ein „geduldetes“ Verhalten und wird damit zum Gewohnheitsrecht. Andere werden sich diesem Verhalten anschließen. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Pünktlichkeit, der Sprechdisziplin, dem Feedbackverhalten, etc. (sehr empfehlenswert dazu auch: Josef W. Seifert, Gruppendynamik und Konfliktmanagement in moderierten Gruppen, Seite 51 ff.).

Mein Vorschlag: mach einen Vorschlag

Es lohnt sich also, die Sache mit den Regeln proaktiv in die Hand zu nehmen. Aber das ist eine haarige Geschichte: wer gleich zu Beginn mit den Regeln daherkommt, kann schon mal Sympathiepunkte verspielen. Viel besser kommt da schon ein „Vorschlag“ an, der in einer „Vereinbarung“ endet. Zum Beispiel: „… Wie wollen wir mit den Pausen umgehen? Ist es OK, wenn wir etwa alle 60 Minuten eine kurze Pause einplanen – ich dachte so an 10 Minuten? Ist es Ihnen dann möglich, pünktlich wieder zurück zu sein?“ So vereinbart steckt ein ganz anderes Commitment hinter der Regel „Lasst uns nach den Pausen pünktlich weitermachen“. Und: auch die Teilnehmenden können Vorschläge einbringen.

Souveräne Konsequenz beim Regelbruch

Ein Regelbruch muss natürlich besprochen werden, denn die „Etikette“ funktioniert ja nur, wenn sich alle drauf verlassen können. Beim Regelbruch einzuschreiten ist zugegebenermaßen der unangenehmste Teil dieser Geschichte 😉. Mir hilft hier ein wohlwollender Zugang, der erneut die Gruppe zum Dialog einlädt. Das könnte so klingen: „… wir haben uns zu Beginn auf 10 Minuten Pause verständigt – das ist uns jetzt nicht gelungen. Wo ist das Problem? Brauchen wir längere Pausen? Oder sollen wir weitermachen, auch wenn nicht alle da sind?“.

Mein Fazit: Kein leichtes Thema, aber eines das die Moderationsrolle sehr aufwertet und viel Entspannung ins Online-Geschehen bringt. 

Wenn ihr konkrete Fragen oder Wünsche habt, schreibt mir bitte. Gerne berücksichtige ich euer Feedback in den kommenden Beiträgen.

Bettina Kerschbaumer-Schramek ist Moderatorin, Moderationstrainerin und Auftrittscoach. Sie ist Partnerin von MODERATIO und begleitet seit 15 Jahren Kongresse, Podiumsdiskussionen, BarCamps & Co. Live und online.


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