New Work auf Augenhöhe

von Josef W. Seifert

Im Kontext der New Work Diskussion ist viel die Rede von der sogenannten Augenhöhe. Was aber soll das sein, Augenhöhe? Was kann man sich darunter vorstellen? Wie kann man sie herstellen? Und wozu eigentlich?

Die Definition nach Duden „auf [gleicher] Augenhöhe (gleichberechtigt, gleichwertig: [mit jemandem] auf Augenhöhe verhandeln, diskutieren, verkehren)“ erklärt nicht wirklich, was mit dem Begriff gemeint sein könnte. Bedeutet „gleichberechtigt“, dass beide gleichermaßen berechtigt sein müssen, was auch immer zu beurteilen, zu entscheiden, zu tun? Meint „gleichwertig“, dass beide denselben Wert haben oder dass ihre Argumente dasselbe Gewicht haben? Können denn ein Meister und sein Schüler, ein Fachexperte und ein Kunde, ein Geschäftsinhaber und sein Mit-Arbeiter auf Augenhöhe mit einander sprechen, obwohl sie ja faktisch auf ganz unterschiedlichen Wissens- und/oder Berechtigungsniveaus sind?

Legt man gleichberechtigt und gleichwertig (was auch immer das im Einzelnen bedeuten soll) als Bedingung für „Augenhöhe“ zugrunde, müsste man in Anlehnung an Gregory Bateson und seinen Schüler Paul Watzlawick, kommunikationstheoretisch begründet, sagen: Augenhöhe gibt es nicht. Es gibt nun einmal symmetrische (auf Gleichrangigkeit basierende) und komplementäre (auf Ergänzung basierende) Beziehungen.

Zudem gilt: Gleichberechtigung kann nur als niemals zu erreichendes Ideal, als Vision verstanden werden, der wir – immer wieder neu – versuchen sollten, so nah wie möglich zu kommen. Sie taugt aber nicht als generelle Regelung. Bei einem Feuerwehreinsatz können nicht alle Anwesenden gleichbe-recht-igt sein. Rechte und Pflichten sind immer situations- und personenbezogen.

Die Forderung nach Gleichwertigkeit ist ebenfalls nicht unproblematisch: Menschen haben immer denselben Wert. Jeder Unterschied ist eine (unberechtigte) Zuschreibung, die jemand macht, keine Tatsache. Auch gleichwertige Behandlung ist subjektiv und daher im höchsten Maße variabel und zudem nicht mit „gleich“ und dem Artikel 3 des Grundgesetzes zu verwechseln.

Im Kern scheint es bei der Diskussion um Augenhöhe eher um die Frage zu gehen, wann sich jemand gesehen, ernst genommen und gut behandelt fühlt. Übersetzt man Augenhöhe mit Wohlwollen wird sofort klar, worum es eigentlich geht: Auf Augenhöhe miteinander umgehen bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als wohlwollend miteinander umgehen. Und diese Forderung – akzeptiert man die vorgeschlagene Übersetzung – geht weit über den Kontext von New Work hinaus.

Würden Menschen kompromisslos wohlwollend mit einander umgehen, hätten wir das Paradies auf Erden.

Dass das nur eine – wenn auch reizvolle – Utopie sein kann ist uns allen klar. Aber ist uns auch klar, dass Moderator*innen dafür zuständig sind, in jedem Meeting ein kleines Paradies zu schaffen?

Kompromisslos wertschätzend zu sein gehört zum Mindset des New Work Facilitators der Businessmoderation. Es geht – neben und für die jeweilige Sache – immer darum Dialoge „auf Augenhöhe“ zu schaffen, in denen niemand sein Gesicht verliert sondern, ganz im Gegenteil, gestärkt herauskommt: Ist es nicht das, was wir dringend brauchen!?