Ist Konsens Nonsens?

Mehrheitsentscheide sind in Businessmoderation und Facilitation von je her tabu. Angestrebt wird grundsätzlich Konsens. Die Idee dahinter ist, dass damit die getroffenen Entscheidungen von allen mitgetragen werden können. Motto: Moderation ohne Konsens ist Nonsens!

Besteht bei einer zu fällenden Entscheidung Einigkeit, also Konsens, steht alles zum Besten. Besteht keine Einigkeit, sondern Dissens, benötigt man ein Entscheidungsverfahren.

Bei einer Gruppengröße von bis zu 12 Personen, wie sie für Meetings|Workshops üblich ist, ist es gut möglich, Argumente direkt auszutauschen. Daher ist, bevor man ein Entscheidungsverfahren vorschlägt, zu klären, wo es „hängt“. Worin konkret besteht der Dissens? Können fachliche Bedenken ausgeräumt werden? Können Ängste offen gelegt und geklärt werden? … oder kann|muss die Entscheidung modifiziert werden, damit Konsens möglich wird? Nur, wenn die Gruppe zur Überzeugung gelangt, dass eine Konsens-Entscheidung nicht gelingen wird, stellt sich die Frage nach einer geeigneten Entscheidungsmethode.

Ist Konsens nicht erreichbar und ein Mehrheitsentscheid soll vermieden werden, kommen die „Delegation“ und die „weiche Abstimmung“ in Frage.

Delegation

Bei Delegation entscheidet eine Person für die Gruppe. Das kann der Vorgesetzte sein aber auch ein Fachexperte. Denkbar ist, die Entscheidung an eine Bedingung zu knüpfen und dem|der „Delegierten“ das Vertrauen auszusprechen und ein Placet für die Entscheidung zu geben, also das Einverständnis zu bekunden, dass die Person die Entscheidung treffen darf. Ist der Sachverhalt – ganz konkret – im Maßnahmenplan festgehalten, ist die Entscheidung seitens der Gruppe (quasi) getroffen. Die Gruppe muss sich damit nicht weiter auseinandersetzen.

Ein Beispiel für eine „Entscheidungs-Delegations-Maßnahme“: „Der Kollege Meier entscheidet bis zum …, wie wir mit … verfahren werden, nachdem er den rechtlichen Rahmen dafür konkret abgeklärt hat. Er informiert uns dann im Rahmen von … über den Entscheid.“

Weiche Abstimmung

Eine „weiche Abstimmung“, wird – welche Methode man auch immer wählt – mehr oder weniger Gewinner und Verlierer produzieren. Eine weiche Abstimmung verhindert lediglich, dass lautes, extrovertiertes oder rücksichtsloses Verhalten die Oberhand gewinnt. Die Abstimmung ist immer die zweitbeste Wahl. Die gängigsten Methoden für eine Abstimmung ohne Mehrheitsentscheid sind die klassische Mehrpunktabfrage, der Paarvergleich und das Konsensieren:

  • Mehrpunktabfrage
    Bei der Mehrpunktabfrage beantworten die Gruppenmitglieder eine Frage durch Kleben mehrer Punkte. Da jede|r gezwungen ist neben der von ihm|ihr priorisierten Antwort auch mindestens eine Alternative zu wählen, ist die Fixierung auf nur eine Möglichkeit ausgehebelt.

  • Paarvergleich
    Im Paarvergleich wird jede denkbare Entscheidungsvariante mit jeder anderen, ebenfalls denkbaren Entscheidungsvariante verglichen. Die Entscheidung ergibt sich aus den gegebenen Einzelentscheidungen an denen jede|r beteiligt war. Niemand kann überstimmt werden. 

  • Konsensieren:
    Das aus dem Entscheidungsmodell der Soziokratie, dem Konsent hervorgegangene Entscheidungsverfahren, das sogenannte Konsensieren, fokussiert (in der ursprünglichen Form) auf den Widerstand gegen eine Entscheidung, also die Intensität der Ablehnung der einzelnen zur Entscheidung stehenden Varianten. Die Gruppenmitglieder vergeben nicht Zustimmungswerte, sondern Ablehnungswerte. Die Variante, die am wenigsten abgelehnt wird, erhält den Zuschlag.

    In der von MODERATIO vorgeschlagenen, modifizierten Form „Positives Konsensieren“ (vgl. hierzu Systemisches Konsensieren) liegt der Fokus auf dem positiven Aspekt.

Ein wesentlicher Aspekt bleibt in jeder weichen Abstimmung die Bearbeitung schwerwiegender Einwände. Es muss Raum für das Äußern von Bedenken, Befürchtungen, Ängsten und Hoffnungen sein. Nur so kann eine Entscheidung zur gemeinsam getroffenen und gemeinsam getragenen Entscheidung werden. Selbst dann, wenn als Näherungsverfahren eine weiche Abstimmung genutzt werden muss. Nur, wenn es gelingt die Menschen so gut es geht einzuladen und mitzunehmen, wird eine Entscheidung eine Entscheidung sein. Bleibt der|die Einzelne mit seinen Vorstellungen zurück, ist jede Entscheidung nur Makulatur. Für den Rahmen persönlicher Begegnungen, wie Meetings oder Workshops gilt daher: Ohne die Vision eines Konsens ist jede Entscheidung Nonsens.

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© 2020, Josef W. Seifert, MODERATIO