Die Sache mit dem Selbstwert

Es scheint ein Bedürfnis zu geben, das Abraham Maslow in seiner Bedürfnispyramide zu erwähnen vergessen hat, ein Bedürfnis nach „Ich-lass-die-anderen-alt-aussehen“. Und: Dieses Bestreben hat nach oben keine Grenze. Je weiter die anderen zurückbleiben, desto besser, je größer der Abstand, desto überlegener fühlt sich der, der „oben“ ist. Das gilt freilich für den einen mehr und für die anderen weniger doch jeder kennt dieses Gefühl. Der kleine Bruder dieses Bedürfnisses, dem wir in jeder Moderation begegnen, ist das „recht haben müssen“. Bleibt die Frage, wozu das gut sein soll: Wieso eigentlich geben wir uns so viel Mühe andere zu beeindrucken? Wieso wollen wir recht haben? Woher kommt das? Eine individualpsychologische Erklärung:

Der Mensch kommt als absolut unschuldiges, lebensbejahendes, völlig schutzloses, auf Überleben programmiertes Wesen auf die Welt. Er braucht von Anfang an Nahrung und Pflege, Wärme und Zuwendung kurz: „die Andern“. Im Laufe des Heranwachsens erlebt der kleine Mensch, dass diese andern, in der Regel die Eltern, ganz im Gegensatz zu ihm selbst, scheinbar „alles können“, „alles wissen“ und „alles dürfen“. Er erlebt sich selbst zwangsläufig als klein und abhängig, wenig/er potent und wenig/er wert. Dieses Erleben des eigenen Unvermögens, der eigenen „Minderwertigkeit“ und der Abhängigkeit vom Wohlwollen der andern gräbt sich so tief in sein Gedächtnis und in seine Seele, dass es nie mehr völlig verblassen wird.

Ganz im Gegenteil, der Mensch wird lebenslang „erzogen“. Zeigen ihm zunächst die Eltern was er noch nicht (gut genug) kann und in welcher Hinsicht er noch nicht genügt, verstärken dieses Gefühl der Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit die Erzieher und Lehrer, die Vorgesetzten und Chefs… Die Werbung tut ihr übriges, indem sie den Menschen erklärt, was sie alles machen und haben müssen, um „richtig“ zu sein… die Medien präsentieren im Dauerfeuer Vorbilder, die vermeintlich alles richtig machen und zum Maßstab werden, für das was man können und haben sollte, um liebenswert zu sein: Schneller, höher, weiter… und der einzelne bleibt zwangsläufig immer hinter den hochstilisierten Ansprüchen zurück…

Wieso aber werden wir lebenslang auf vermeintliche Defizite, auf Schwächen und Fehler hingewiesen und dadurch geschwächt? Wieso werden nicht unsere Stärken anerkannt und dick gelobt? Wieso stärken wir einander nicht, anstatt uns zu schwächen? Es möchte doch jeder gesehen, anerkannt, gelobt werden.

Das Problem an der Sache ist, dass das Ganze ein Vicious Circle, ein Teufelskreis ist: Nur wer hat, kann geben. Da wir, wie oben skizziert, von Kindesbeinen an, – der eine mehr, die andere weniger – mit Anerkennung chronisch unterversorgt sind, sind wir mit unserem Selbstwertkonto im Minus. Dadurch entsteht letztendlich das Dilemma dass alle, die auf Defizite hinweisen, davon profitieren. Kritik stellt einen Unterschied her, der eine hat recht, die andere nicht. Sich im Recht zu wähnen, erzeugt ein Gefühl von Überlegenheit, jede Kritik, ist sozusagen „Futter“ für das eigene Selbstwertgefühl. Je weniger Bestätigung jemand außen bekommt, desto entschiedener wird dessen Kritik an anderen.

In einem Gespräch, einer Auseinandersetzung, einer Diskussion Recht zu bekommen hat daher einen hohen Belohnungswert. Das gilt natürlich auch im Rahmen eines Meetings, eines Workshops oder einer Online-Diskussion.

Als Moderatorin, Facilitator oder Leiter eines Gruppendialogs ist man deshalb gut beraten, neben der inhaltlichen Sachebene, auch die emotionale Beziehungsebene dahingehend „auf dem Radar“ zu haben, dass man sich fragt, ob jemand der (sehr) emotional und/oder kompromisslos argumentiert, gerade einen „Selbstwert-Sieg“ braucht. Es geht also darum zu erkennen, ob jemand gerade Recht bekommen „muss“, weil das Selbstwertkonto sonst zu sehr ins Minus rutscht.

Hat der Moderator diesen Eindruck, kann er etwa das Selbstwertkonto dadurch bedienen, dass er die Argumentation, den geäußerten Gedankengang, das Einbringen der Perspektive und/oder das große Engagement, explizit anerkennt – und so auf das „Selbstwertkonto“ einzahlt – ohne in der Sache Stellung zu beziehen.

Gemäß dem Motto „Nur wer hat, kann geben.“, vergrößert man so, durch moderatorisches Geschick, die Chance, eine größere Offenheit in der Sache zu erreichen.

Recht haben zu wollen sollte also nicht als Dummheit, Sturheit oder Böswilligkeit gewertet werden, sondern als das was es ist nämlich, ein Versuch auf das chronisch unterversorgte „Selbstwertkonto“ einzuzahlen.

Was Peter über Paul sagt,
hat oft mehr mit Peter zu tun,
als mit Paul.

Die Grundhaltung des Moderators ist – nicht zuletzt, weil er um diese „Mechanik“ weiß – von Respekt und Wohlwollen geprägt. Die Idee ist dabei die, „ganz nebenbei“ eine Gesprächskultur der gegenseitigen Wertschätzung zu etablieren, wie sie in der Geschichte von Himmel und Hölle meisterhaft versinnbildlicht ist:

Himmel und Hölle [Quelle unbekannt]

Ein Rabbi kommt zu Gott: „Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.“ – „Nimm Elia als Führer“, spricht der Schöpfer, „er wird dir beides zeigen.“ Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand.

Er führt ihn in einen großen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf Aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen.Das herrliche Essen ist nicht zu genießen.

Die beiden gehen hinaus: „Welch seltsamer Raum war das?“ fragt der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, lautet die Antwort.

Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf.

Aber – ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt, glücklich. „Wie kommt das?“ Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen.

Da weiß der Rabbi, wo er ist.

 

Ihr /Euer /Dein
josef w. seifert

© 2022 – Vorab, aus: Josef W. Seifert, Moderation und Kommunikation, Gabal Verlag, Offenbach 2023

Ist Konsens Nonsens?

Mehrheitsentscheide sind in Businessmoderation und Facilitation von je her tabu. Angestrebt wird grundsätzlich Konsens. Die Idee dahinter ist, dass damit die getroffenen Entscheidungen von allen mitgetragen werden können. Motto: Moderation ohne Konsens ist Nonsens!

Besteht bei einer zu fällenden Entscheidung Einigkeit, also Konsens, steht alles zum Besten. Besteht keine Einigkeit, sondern Dissens, benötigt man ein Entscheidungsverfahren.

Bei einer Gruppengröße von bis zu 12 Personen, wie sie für Meetings|Workshops üblich ist, ist es gut möglich, Argumente direkt auszutauschen. Daher ist, bevor man ein Entscheidungsverfahren vorschlägt, zu klären, wo es „hängt“. Worin konkret besteht der Dissens? Können fachliche Bedenken ausgeräumt werden? Können Ängste offen gelegt und geklärt werden? … oder kann|muss die Entscheidung modifiziert werden, damit Konsens möglich wird? Nur, wenn die Gruppe zur Überzeugung gelangt, dass eine Konsens-Entscheidung nicht gelingen wird, stellt sich die Frage nach einer geeigneten Entscheidungsmethode.

Ist Konsens nicht erreichbar und ein Mehrheitsentscheid soll vermieden werden, kommen die „Delegation“ und die „weiche Abstimmung“ in Frage.

Delegation

Bei Delegation entscheidet eine Person für die Gruppe. Das kann der Vorgesetzte sein aber auch ein Fachexperte. Denkbar ist, die Entscheidung an eine Bedingung zu knüpfen und dem|der „Delegierten“ das Vertrauen auszusprechen und ein Placet für die Entscheidung zu geben, also das Einverständnis zu bekunden, dass die Person die Entscheidung treffen darf. Ist der Sachverhalt – ganz konkret – im Maßnahmenplan festgehalten, ist die Entscheidung seitens der Gruppe (quasi) getroffen. Die Gruppe muss sich damit nicht weiter auseinandersetzen.

Ein Beispiel für eine „Entscheidungs-Delegations-Maßnahme“: „Der Kollege Meier entscheidet bis zum …, wie wir mit … verfahren werden, nachdem er den rechtlichen Rahmen dafür konkret abgeklärt hat. Er informiert uns dann im Rahmen von … über den Entscheid.“

Weiche Abstimmung

Eine „weiche Abstimmung“, wird – welche Methode man auch immer wählt – mehr oder weniger Gewinner und Verlierer produzieren. Eine weiche Abstimmung verhindert lediglich, dass lautes, extrovertiertes oder rücksichtsloses Verhalten die Oberhand gewinnt. Die Abstimmung ist immer die zweitbeste Wahl. Die gängigsten Methoden für eine Abstimmung ohne Mehrheitsentscheid sind die klassische Mehrpunktabfrage, der Paarvergleich und das Konsensieren:

  • Mehrpunktabfrage
    Bei der Mehrpunktabfrage beantworten die Gruppenmitglieder eine Frage durch Kleben mehrer Punkte. Da jede|r gezwungen ist neben der von ihm|ihr priorisierten Antwort auch mindestens eine Alternative zu wählen, ist die Fixierung auf nur eine Möglichkeit ausgehebelt.

  • Paarvergleich
    Im Paarvergleich wird jede denkbare Entscheidungsvariante mit jeder anderen, ebenfalls denkbaren Entscheidungsvariante verglichen. Die Entscheidung ergibt sich aus den gegebenen Einzelentscheidungen an denen jede|r beteiligt war. Niemand kann überstimmt werden. 

  • Konsensieren:
    Das aus dem Entscheidungsmodell der Soziokratie, dem Konsent hervorgegangene Entscheidungsverfahren, das sogenannte Konsensieren, fokussiert (in der ursprünglichen Form) auf den Widerstand gegen eine Entscheidung, also die Intensität der Ablehnung der einzelnen zur Entscheidung stehenden Varianten. Die Gruppenmitglieder vergeben nicht Zustimmungswerte, sondern Ablehnungswerte. Die Variante, die am wenigsten abgelehnt wird, erhält den Zuschlag.

    In der von MODERATIO vorgeschlagenen, modifizierten Form „Positives Konsensieren“ (vgl. hierzu Systemisches Konsensieren) liegt der Fokus auf dem positiven Aspekt.

Ein wesentlicher Aspekt bleibt in jeder weichen Abstimmung die Bearbeitung schwerwiegender Einwände. Es muss Raum für das Äußern von Bedenken, Befürchtungen, Ängsten und Hoffnungen sein. Nur so kann eine Entscheidung zur gemeinsam getroffenen und gemeinsam getragenen Entscheidung werden. Selbst dann, wenn als Näherungsverfahren eine weiche Abstimmung genutzt werden muss. Nur, wenn es gelingt die Menschen so gut es geht einzuladen und mitzunehmen, wird eine Entscheidung eine Entscheidung sein. Bleibt der|die Einzelne mit seinen Vorstellungen zurück, ist jede Entscheidung nur Makulatur. Für den Rahmen persönlicher Begegnungen, wie Meetings oder Workshops gilt daher: Ohne die Vision eines Konsens ist jede Entscheidung Nonsens.

Hierzu vielleicht auch interessant: Selbstorganisation & Entscheidung


© 2020, Josef W. Seifert, MODERATIO

Die 10 Gebote der Besprechungsmoderation

Es gibt kaum eine Organisation, in der nicht über zu lange und ineffektive, ja langweilige und frustrierende Besprechungen und Sitzungen geklagt wird. Dabei würde es genügen, einige Regeln für den Leiter, oder besser den Moderator, einzuüben und zu beherzigen.

Gelingt dies nicht im Selbststudium, empfiehlt sich der Besuch eines entsprechenden Trainings; die investierte Zeit kommt in Form effektiverer Veranstaltungen vielfach wieder herein. Die folgenden 10 Gebote zeigen, als Anregung fürs Selbsttraining, worauf es ankommt.

1. Gebot Bereite Dich gut vor!

In der Praxis ist meist nicht die Zeit für eine umfassende Vorbereitung oder, besser (ehrlicher?) gesagt, man nimmt sie sich nicht.


Ein Mensch – dass ich nicht Unmensch sag – meint: ”Alles kann man, wenn man mag.” Vielleicht – doch gibt’s da viele Grade: Auch mögen können ist schon Gnade! 

Eugen Roth



Der Preis dafür ist in der Regel hoch. Die Zusammenkunft dauert länger als geplant und es kommt nichts oder nicht viel (zumindest nichts Konkretes) dabei heraus. Dabei ist eine gute Vorbereitung (mindestens!) „die halbe Miete“ für den Erfolg einer Besprechung. Zu einer guten Vorbereitung gehört zunächst, für sich zu klären, ob man von der zu moderierenden Gruppe überhaupt als Moderator akzeptiert wird! Bestehen diesbezüglich Zweifel, sollte man für Akzeptanz (z.B. durch offizielle „Berufung“) sorgen oder die Aufgabe nicht wahrnehmen.

Hat man sich entschlossen, zu moderieren, ist es ratsam, sich anhand einiger „harter Fragen“ vorzubereiten und zwar:

  • Inhaltlich: Worum genau geht es in der Besprechung? Was genau soll erreicht werden?
  • Methodisch: Wie will / kann ich die Gruppe zum Ziel führen? Was mache ich erst und was dann …?
  • Organisatorisch: Was muss vorbereitet sein?
  • Persönlich: Worauf muss speziell ich besonders achten: auf Neutralität, lautes Sprechen; …?

2. Gebot: Beginne positiv!

Zu einem positiven Einstieg gehört es, etwas „für den Bauch“ zu tun. Das heißt, es ist wichtig, ein positives Klima für die gemeinsame inhaltliche Arbeit zu schaffen. Das geht in aller Regel vor dem offiziellen Beginn leichter als danach. Ziel dieser Phase ist es, die Teilnehmer auch psychisch „da sein“ zu lassen. Wer hat es nicht schon erlebt, dass man (todmüde) ankommt und dann von wohlmeinenden „Geistern“ gleich mit allem Möglichen und Unmöglichen „überschüttet“ wird. Dabei wünscht man selbst (physisch anwesend) sich nichts sehnlicher, als erst einmal (psychisch) „anzukommen“. Das sprichwörtliche Gespräch über’s Wetter kann hier gute Dienste tun. Darüberhinaus ist es wichtig, pünktlich zu beginnen. Ist die Veranstaltung für 9.00 Uhr angesagt, so beginnt diese auch um 9.00 Uhr und nicht um 9.05 Uhr oder 9.12 Uhr. Die Anwesenden waren pünktlich und das muss belohnt werden!

3. Gebot: Lege das Ziel fest!

Nach der Begrüßung geht es darum, die Tagesordnungspunkte abzustimmen und die jeweilige Zielsetzung abzuklären. Oft wird gemäß dem Motto: „Wir wissen zwar nicht, wohin wir wollen, das aber mit ganzer Kraft“ drauflos gearbeitet, ohne zu wissen, worum es konkret geht. Die inhaltliche Arbeit sollte auf keinen Fall beginnen, bevor nicht Konsens über die Zielsetzung der Bearbeitung besteht. Es genügt hierzu nicht, dass (vermeintlich) „ja eh jeder weiß, worum es geht“. Das gemeinsam formulierte Ziel wird zum Thema visualisiert (vgl. 4. Gebot) und ist somit der „rote Faden“ für die Bearbeitung und damit für die Leitung/ Moderation der Veranstaltung.

4. Gebot: Visualisiere für alle sichtbar mit!

Die Visualisierung beginnt schon vor der Veranstaltung, spätestens aber bei deren Beginn, indem der Moderator das zu bearbeitende Thema aufschreibt. Am besten auf ein Flipchart, weil dieses (zu Beginn der Zusammenkunft an die Wand geheftet) sichtbar gehalten werden kann. Danach beginnt ein für alle sichtbares (Mit-)Visualisieren aller wichtigen Inhalte. Der erste Schritt ist – wie erwähnt – die Ergänzung des Themas / der Themen um die jeweilige Zielsetzung. Danach führt der Moderator dies während der gesamten Besprechung fort, indem er alle zur Bearbeitung wichtigen Inhalte sichtbar macht und wenn irgend möglich (durch anpinnen oder ankleben) sichtbar hält!

5. Gebot: Erläutere die Vorgehensweise!

Niemand käme auf die Idee, sein Haus zu bauen, ohne erst einen Plan dafür zu machen. In Besprechungen wird häufig zuerst das Haus gebaut und manch einer wundert sich am Ende, dass (wiedermal) nichts (Konkretes) herausgekommen ist.

Hier ist der Moderator aufgerufen, darauf zu drängen, dass nach Thema und Ziel auch der Weg verabredet wird, der zur Themenbearbeitung beschritten werden soll. Erst dann wird, nach eben dieser Absprache, das Thema bearbeitet. Der Moderator ist ab diesem Zeitpunkt „Anwalt“ der vereinbarten Vorgehensweise und verhilft ihr immer wieder „zu ihrem Recht“!

6. Gebot: Sei neutral!

Der Moderator ist dafür verantwortlich, dass die Gruppe zu einem Ergebnis kommt, nicht aber für dessen Qualität aus seiner Sicht. Er sollte sich zwar in die Inhalte hineindenken können, aber nicht inhaltlicher Experte sein. Ist er dies aber doch und darüber hinaus, wie in der Praxis so häufig, auch noch inhaltlich Betroffener, wird es für ihn schwierig sein, (gut) zu moderieren.

Geht es nicht anders, und er will oder muss die Veranstaltung – obwohl er inhaltlich „Aktien hat“ – leiten, so muss er versuchen, beiden Rollen gerecht zu werden. Er kann dies (wenn überhaupt) z.B. dadurch, dass er in der einen Rolle (Moderator) steht und in der anderen (Teilnehmer-Rolle) sitzt. Äußerst hilfreich kann es in dieser Situation sein, seine inhaltlichen Beiträge in Form von Fragen einzubringen und möglichst wenig direktiv zu wirken (vgl. 7. Gebot).*

7. Gebot: Führe durch Fragen!

Entscheidungen werden von den Betroffenen dann (am ehesten) mitgetragen, wenn diese sich in der Entscheidung wiederfinden. Dies kann nur der Fall sein, wenn sie auch gefragt wurden. Der Moderator kann seine Aufgabe deshalb nur aus einer „fragenden Haltung“, keinesfalls aus einer „Sage-“ oder „Besserwisser-Haltung“ heraus bewältigen. Er leitet die Gruppe (an), ist aber nicht inhaltlicher Entscheider! Nur in der Doppelrolle Moderator und Teilnehmer wird er sich inhaltlich einbringen. Um zu erfahren, was die Gruppe und der Einzelne in der Gruppe will, muss der Moderator aber auf jeden Fall mit (offenen) Fragen arbeiten. Am Ende seiner Sätze werden also nicht Ausrufe-, sondern Fragezeichen stehen. Statt: „Wir müssen aber auch noch den Aspekt …betrachten!“ fragt er: „Kann es sein, dass wir in diesem Zusammenhang auch den Aspekt … betrachten müssen?“

8. Gebot: Bleibe beim Thema!

Ein großes Problem in Besprechungen ist es, dass Themen immer wieder „zerredet“ werden. Hier profitiert der Moderator von seiner sauberen Vorarbeit beim Einstieg. Die gemeinsam formulierte Zielsetzung (vgl. 3. Gebot) gibt ihm immer (wieder) die Möglichkeit nachzufragen, ob das momentan Diskutierte zum Thema bzw. zur Zielsetzung passt, um so mit der Gruppe den „roten Faden“ zu behalten bzw. (immer wieder) wiederzufinden.

9. Gebot: Achte auf konkrete Vereinbarungen!

Der Moderator ist dafür da, dass der Witz: „Was ist eine Besprechung? Nun, es gehen viele hinein und es kommt nichts dabei heraus“ sich nicht bestätigt. Das bedeutet, dass er mit Akribie darauf zu achten hat, dass das angestrebte Ziel erreicht wird und konkrete Maßnahmen nach dem Muster: „Wer macht was bis wann?“ beschlossen werden. Hilfreich ist hierzu ein (vorab) visualisierter „Maßnahmenplan“ mit den entsprechenden Spalten, in die dann die Beschlüsse nur noch eingetragen werden. Der ausgefüllte Maßnahmenplan kann dann für einen „Maßnahmen-Check“ Element der nächsten Sitzung sein.

10. Gebot: Schließe positiv ab!

Die Teilnehmer sollen die Besprechung in positiver Stimmung und mit dem Vorsatz, die beschlossenen Maßnahmen in die Tat umzusetzen, verlassen. Hierzu kann ein ehrlicher Dank an die Gruppe und ein positiver Abschluss verhelfen. Dazu abschließend ein kleines Beispiel: Ich bin mir sicher, dass in den vorliegenden 10 Geboten für den Moderator der eine oder andere Tipp für Sie dabei ist, den Sie nutzen möchten, um Ihre Besprechung und Sitzung (noch) effektiver zu gestalten: Viel Erfolg!

 


© MODERATIO

Moderation & Beratung: Synonym oder Oxymoron

Moderation und Beratung werden synonym verwendet. Was aber hat Moderation mit Beratung zu tun?

Ausgehend von der These, dass ein Moderator zu dem jeweils zu bearbeitenden Thema „von Berufs wegen keine Meinung“ zu haben hat, kann man sich fragen, was Moderation mit Beratung zu tun hat. Das Typische an einem Berater ist doch gerade, dass er einem einen Rat gibt. Dies wiederum setzt voraus, dass er zum vorgetragenen Anliegen eine Meinung hat; im Idealfall sogar eine Expertenmeinung. Ist der Berater wirklich kompetent, so kennt er die Lösung für mein Problem und unterbreitet mir einen entsprechenden Lösungsvorschlag oder?

Was ist eigentlich Beratung?

Zunächst ist festzustellen, dass Beratung nicht eindeutig definiert ist und es keine klare Theorie von Beratung gibt. Beratung lässt sich aber in zwei große Bereiche einteilen: 1

  • Expertenberatung
  • Prozessberatung

Danach handelt es sich bei Expertenberatung um die Art von Beratung, bei der die Betroffenen ihr Problem an einen Berater (oder eine Beratergruppe) mit dem Auftrag übertragen, das Problem zu lösen oder zumindest ganz konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Das klassische Beispiel dafür ist die Expertise, das Gutachten eines Experten, etwa zur Echtheit eines Kunstwerkes. Auch die Beratung zur Anschaffung einer technischen Anlage und die Finanz- und Steuerberatung gehören hierzu.

Bei Prozessberatung hingegen geht es darum, dem Gegenüber zu helfen, sein Problem selbst zu lösen. Das Problem wechselt in diesem Fall den Besitzer nicht. Vielmehr geht es darum, den Prozess der Problemlösung zu gestalten. Gefragt ist nicht Fachkompetenz, sondern (vor allem) Methodenkompetenz. Zwei  Beispiele für Prozessberatung:

  • Das interne PE-Team eines Pharmaproduzenten will sich neu organisieren. Der Leiter der Abteilung möchte, dass die geeignete Organisationsform von den Teammitgliedern selbst erarbeitet wird, um eine möglichst hohe Akzeptanz und Effektivität der neuen Organisation zu erreichen.
  • Im neuen Logistikzentrum eines Computer-Distributors sollen Schnittstellenprobleme besprochen und Maßnahmen zur Optimierung der Zusammenarbeit beschlossen werden. Der Leiter des Zentrums kann die Probleme nicht „am grünen Tisch“ lösen. Die Problembearbeitung ist nur durch Aussprache und Absprache zwischen den Betroffenen vor Ort möglich. Der Vorgesetzte kann (nur) den Rahmen dafür schaffen und Hilfestellung für die / bei der Themenbearbeitung geben.

Welche Beratungsart ist wann sinnvoll?

Experten- / Fachberatung ist immer dann sinnvoll, wenn erforderliches Fach-Know-how im eigenen Hause fehlt und die Möglichkeit, dass jemand aus den eigenen Reihen „sich schlaumacht“, aus zeitlichen und / oder personellen Gründen, nicht möglich ist. Ist das Know-how zur Problemlösung jedoch vorhanden
oder kann man dies nicht kaufen und eine Lösung muss aus eigener Kraft gefunden werden, so ist Prozessberatung erforderlich, zumindest aber hilfreich.

In der Praxis gibt es zweifelsohne einen Überschneidungsbereich, eine Art der Beratung, die man „prozessorientierte Expertenberatung“ nennen könnte. Bei dieser Art der Beratung gibt der Berater fachliche Informationen zum Thema oder zeigt Lösungsalternativen auf, ohne jedoch (s)eine Lösung zu priorisieren.

Und was hat das Ganze mit Moderation zu tun?

Bei Prozessberatung und prozessorientierter Fachberatung ist das Erarbeiten einer Problemlösung durch die / mit den Betroffenen der Kern der Beratungstätigkeit. Die Betroffenen zu Rate zu ziehen erfordert seinerseits ein hohes Maß an Moderations- und Beratungskompetenz:

  • Moderationskompetenz zur Strukturierung der erforderlichen Gruppengespräche in Form von Projektgruppensitzungen, Workshops
  • Beratungsprozesses von der Auftragsklärung bis zur Reflexion des abgeschlossenen Projekts.

Wir nennen diese umfassende Art des Moderierens BusinessModeration.

Wie läuft BusinessModeration konkret ab?

Obwohl bei Prozessberatung / BusinessModeration der Weg beim Gehen entsteht, kann man den Ablauf klar in Arbeitsschritte unterteilen:

Schritt 1: Information

Jede Beratung beginnt damit, dass der Berater um Unterstützung bei der Lösung einer Aufgabe gebeten wird. Dieser Erstkontakt wird in aller Regel per Telefon stattfinden. Von dem Moment an, wo der (potenzielle) Kunde sein Anliegen äußert, beginnt für den Berater die Informationssammlung.

Dabei kommt es zunächst darauf an zu klären, ob man überhaupt der richtige Partner für den Klienten ist / sein kann. Hierzu können Fragen dienen, wie: Was konkret ist das Thema / die Aufgabenstellung? Ist es mir möglich, mich in die Problemstellung hineinzudenken – verstehe ich, worum es geht? Braucht der Gesprächspartner Fach- oder Prozessberatung? … oder beides? Kann ich / will ich helfen? Ist in diesem Erstgespräch eine Vorklärung gelaufen und man hat den Eindruck, (grob) verstanden zu haben, worum es geht, wird ein erstes persönliches Gespräch vereinbart. In diesem Gespräch geht es dann darum, noch mehr (Detail-) Informationen zu erhalten / zu erarbeiten, um sich ein noch klareres Bild davon machen zu können, worum es ganz konkret geht und wie eine mögliche Themenbearbeitung aussehen könnte. Fragen zur weiteren Konkretisierung könnten sein: Wer möchte das Thema bearbeitet haben und warum gerade jetzt? Wer ist vom Thema betroffen und in welcher Weise? Wer muss in die Themenbearbeitung (unbedingt) einbezogen werden? Wer könnte
versuchen die Arbeit zu be-/verhindern und aus welchem Interesse?…

Das Gespräch beim Kunden könnte gleich (oder in einem zweiten Schritt) ein moderiertes Gruppeninterview mit allen Beteiligten sein! Diese Arbeitsphase ist zu Ende, wenn der Berater ausreichend Informationen hat, deren Interpretation es ihm ermöglicht, ein Konzept zur Themenbearbeitung zu erstellen.

Schritt 2: Interpretation

Hat man als Berater sein Bild davon, was der Kunde möchte und wie man das Thema angehen könnte, ist es notwendig, das Ganze mit Abstand zu betrachten. Im Idealfall ist man dazu nicht allein, sondern im (Zweier-)Team. Man wird sich / einander dann fragen:

Aus welchen offiziellen Gründen soll das Thema bearbeitet werden? Wer will damit / darüber hinaus was erreichen? Wer ist vom Thema betroffen und in welcher Weise? Für wen ändert die Themenbearbeitung (möglicherweise) etwas und was? Was bedeutet das für denjenigen und für die anderen? Wer steht wie zu wem?…

Ziel dieser Arbeitsphase ist es, zu einer möglichst realistischen Einschätzung dessen zu kommen, was (wirklich) angestrebt ist, um darauf aufbauend ein treffendes und „anschlussfähiges“ Konzept zu erarbeiten.

Schritt 3: Konzeption

Mögliche Fragen zur Erstellung eines (Grob-)Konzepts auf der vorhandenen Datenbasis könnten sein:

Was möchten die Beteiligten erreichen und was kann unter den gegebenen Umständen erreicht werden? Was ist dazu die geeignete Vorgehensweise?

Das konkrete Moderations-Design hängt von der jeweiligen Zielsetzung ab. Die Er- / Überarbeitung einer Vision oder (Teil-)Strategie wird anders ablaufen (müssen) als die Optimierung eines Fertigungs- oder Dienstleistungsprozesses oder eine Konfliktmoderation.

Schritt 4: Präsentation

Das erdachte Konzept muss danach mit dem Auftraggeber abgestimmt werden. Hierzu stellen sich für die Prozessberater / BusinessModeratoren Fragen wie:

Wie präsentieren wir das Konzept so, dass (möglichst) keine Widerstände dagegen entstehen? Wie erreichen wir eine möglichst hohe Akzeptanz und Identifikation mit dem geplanten Vorgehen?…

Sinn und Zweck dieses Arbeitsschrittes ist die Präsentation und Abstimmung des erarbeiteten Konzepts mit dem Auftraggeber. Es wird präsentiert, diskutiert und gegebenenfalls „an Ort und Stelle“ modifiziert. Hierzu sind Fragen zu klären wie:

Ist alles berücksichtigt worden, was dem Auftraggeber wichtig ist? Kann das so (wie angedacht) funktionieren? Soll / muss das Konzept noch jemandem präsentiert werden, um unnötige Widerstände zu vermeiden?…

Am Ende der Präsentation steht der verbindliche Kontrakt für die konkrete Vorgehensweise / Intervention / Moderation.

Schritt 5: Intervention

Die Phase Intervention ist die zentrale Phase der Beratung. Jetzt wird das Thema / Problem in Angriff genommen. Dies beinhaltet in aller Regel die Durchführung eines Workshops oder einer Workshopreihe mit allen zur Themenbearbeitung notwendigen Organisationsmitgliedern.

Möglicherweise ist auch eine Großgruppen-Konferenz sinnvoll / erforderlich. Darüber hinaus ist häufig Coaching der entsprechenden Gruppe und / oder des Auftraggebers hilfreich / notwendig. Was konkret getan wird, wurde bereits in den Schritten 3 und 4 entschieden.

Schritt 6: Reflexion

Nach Abschluss der Intervention, des Workshops, … findet ein Treffen zur Reflexion der geleisteten Arbeit statt. Es geht dabei um die Fragen:

Haben wir erreicht, was wir erreichen wollten / sollten? Ist der Auftraggeber mit Ablauf und Ergebnis zufrieden? Wie geht es weiter – ist weitere Beratung gewünscht / sinnvoll? …

Dabei geht es nicht darum, einen weiteren Auftrag „an Land zu ziehen!, sondern darum, einen sauberen Abschluss des Projekts zu gestalten. Für die Betroffenen und den Auftraggeber muss deutlich werden, was geleistet und erreicht wurde und was ggf. offen geblieben ist. Möchte der Kunde zur weiteren Bearbeitung dieses oder eines anderen Themas Unterstützung, so beginnt ein neuer Beratungszyklus, bei dem die genannten Schritte erneut durchlaufen werden. In der Regel kann der eine oder andere Schritt aufgrund der jetzt vorhandenen Vorkenntnisse flotter abgearbeitet werden.

… und wann ist BusinessModeration erforderlich / hilfreich?

BusinessModeration ist als professioneller Beratungsansatz zur Situationsklärung und Themenbearbeitung immer dann in Betracht zu ziehen, wenn neben der ersten auch mindestens eine weitere der folgenden Aussagen zutrifft:

  • Es handelt sich um eine einmalige, zeitlich befristete Nichtroutine-Aufgabe.
  • Die Themenstellung ist offensichtlich, es ist aber (noch) nicht ganz klar, was konkret zu tun ist.
  • Die Bearbeitung des Themas / die Lösung des Problems kann oder soll nicht „einsam“ erfolgen, sondern der Einbezug
    möglichst aller Betroffenen ist erforderlich / gewünscht.
  • Jeder der Beteiligten soll / muss sich uneingeschränkt auf die inhaltliche Diskussion konzentrieren können.
  • Das zu bearbeitende Thema ist zu „heiß“ und / oder jeder der Beteiligten ist emotional stark involviert.
  • Es bestehen bereits „Fronten“ und / oder die Bearbeitung des Themas ist „festgefahren“.

BusinessModeration ist ein mächtiges Werkzeug zur eigenverantwortlichen Visions-, Strategie- und Optimierungsarbeit, von der „Zukunftskonferenz“ über „KVP-Arbeit“ bis zur Konfliktklärung. Sie baut dabei auf die Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Kreativität der Mitarbeiter und Führungskräfte und nutzt so vorhandenes Know-how für maßgeschneiderte Lösungen.

 

1) Eine Kategorisierung, die von Ed. Schein (der in der Tradition von Lewin und Mc Gregor am Massachusetts Institute of Technology in den USA tätig war) schon Ende der 60er Jahre eingeführt wurde.

2) Die MODERATIOnsMETHODE© ist in der MODERATIO®-Notiz 1 skizziert. Eine ausführliche Darstellung der Moderationstechnik finden Sie in: Josef W. Seifert, Visualisieren – Präsentieren – Moderieren, GABAL Verlag Offenbach sowie ergänzend in: Josef W. Seifert, Moderation und Kommunikation, GABAL Verlag

 


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